4-Tage-Woche/Arbeiszeitmodell

Die 4-Tage-Woche: Hype oder Trend zur Arbeitgeberattraktivität

Die 4-Tage-Woche wird diskutiert und ist sequenziell bereits in der Praxis zu sehen. Politisch salonfähig wurde die Diskussion um ein solches Modell spätestens im Jahr 2020, als die neuseeländische Premierministerin, Jacinda Ardern, die gesetzliche Einführung einer 4-Tage-Woche vorschlug, um die Work-Life-Balance nach der COVID-19-Pandemie zu fördern. Auch in Recruitment-Beratungen bei Fragenstellungen zur Attraktivität von Stellenprofilen werden Modelle dieser Richtung präsenter. Unabhängig vorgebender Gesetzgebungen gewinnt die Umsetzung an Dynamik. Schauen wir detaillierter hin …

Die 4-Tage-Woche: Motivation, Work-Life-Balance oder Modeerscheinung:

Die Diskussion darum, mit weniger Arbeitszeit mehr empfundene Lebensqualität zu erreichen, ist keine Neuzeiterscheinung: Um 1870 arbeiteten die Menschen rund 70 Stunden pro Woche, in den 1950er Jahren rund 48 Stunden und 2019 waren es 41 Stunden. Folgen wir dieser Dynamik, dann stehen wir tatsächlich an der Schwelle zur 4-Tage-Woche. Es handelt sich um einen logischen Effekt, der mit stetig zunehmendem Verlangen nach einer guten Work-Life-Balance unterlegt ist. Können wir uns das wirtschaftlich leisten, reicht nicht schon die Flexibilisierung der Arbeitszeit und welche Aspekte verdienen Augenmerk? Greifen wir einige davon auf:

Hebel im Recruitment und zur Mitarbeiterbindung:

Im Wettbewerb um die besten Mitarbeiter spielen Schlagwörter wie Obstkörbe, freie Getränke, Gutscheine für Fitnessstudios, moderne Arbeitsmittel, Firmenrad, flexibles Arbeiten etc. wenn überhaupt nur noch eine rein obligatorische, eher untergeordnete Rolle bei der Beschreibung attraktiver oder angeblich motivierender Arbeitsbedingungen. Nicht selten wird die 4-Tage-Woche jedoch fehlinterpretiert als Ausgleich für mehr Work-Life-Balance, dennoch zunehmend gewichtiger für ein Attraktivitätsmerkmal des Arbeitsplatzes. Hinzu kommt, dass sich die Wertematrix der Erwartungshaltung performanter Mitarbeiter verändert und dabei auch die 4-Tage-Woche ein deutlicheres Kriterium wird. Einige Aspekte, die wir in der Praxis der Management- und Personalberatung erleben bzw. feststellen:

Auswirkungen auf die Produktivität und Praxisbeispiele:

Die mit einer 4-Tage-Woche einhergehende Verringerung der Arbeitszeit allein hat nur bedingt Einfluss auf die tatsächliche Effizienz und Effektivität des Arbeitsergebnisses je Mitarbeiterstunde. „Netto betrachtet“ bringt diese häufig einen eher positiven Effekt mit sich. In Befragungen von Führungskräften und Personalleitern, sowie Managern in Bezug auf ihre effizientesten Mitarbeiter in ihren Bereichen erfahren wir häufig die Aussage: „Die meisten Teilzeit-Mitarbeiter arbeiten nachweislich effizienter als viele Vollzeit-Kräfte.“ Häufig ist diese Bewertung in vertrieblichen Tätigkeitsfeldern festzustellen: Nicht selten wird es dann offensichtlich, wenn Menschen aus der Elternzeit kommend ihre Wochenarbeitszeit zwar reduzieren, doch bei der Kürzung ihrer Arbeitszeit um 25% dennoch nahezu 90% (oder mehr) ihres ehemaligen Arbeitsergebnisses erzielen. Bei einer produktiven Arbeitsleistung pro Stunde in den Bereichen Verwaltung, Technik, Produktion etc. sind die Auswirkungen (wenn die Taktung der Arbeitsfrequenz nicht automatisiert vorgegeben ist) ähnliche.

Es gibt belegbare Ergebnisse, zwei Beispiele:

  • Das neuseeländische Unternehmen Perpetual Guardian testete 2018 eine 4-Tage-Woche und resümiert den Produktivitätsanstieg von 20 % sowie ein geringeres Stressniveau und eine größere Arbeitszufriedenheit in der Belegschaft. Laut Inhaber des Unternehmens bringe die verkürzte Arbeitswoche „keine Nachteile“ mit sich. Im selben Jahr hat Perpetual Guardian die 4-Tage-Woche dauerhaft eingeführt.
  • 2019 hat Microsoft Japan mit der 4-Tage-Woche experimentiert und dabei festgestellt, dass die Produktivität um 40 % zunahm und die Energiekosten damit einhergehend gleichzeitig um 23 % sanken.

Anmerkung zur Quelle: Dies Fakten sind in Unternehmensveröffentlichungen und in Wikipedia nachvollziehbar.

Die 4-Tage-Woche als Effekt auf die Work-Life-Balance:

Mehr Freizeit (wie auch mehr Gehalt) ist zunächst ein einmaliger gefühlter Mehrwert mit Gewohnheitseffekt und ist kein Garant für mehr Lebensqualität. Eine hoch empfundene Arbeitsbelastung braucht einen entsprechend starken Erholungswert, insbesondere bei physisch stark beanspruchender Tätigkeit. Doch Arbeitsbelastung ergibt sich nicht zwangsläufig und nicht ausschließlich aus Arbeitszeit und -menge. Deutlicher sind Faktoren wie wahrgenommene Unternehmenskultur und die Führungsqualität operativ agierender Chefs; Einflüsse, die einen relevanteren Ausgleich brauchen. Gute Antworten lassen sich bei der Ergründung folgender Fragen finden: Ab welchem Wochentag hungert der Mitarbeiter (oder gar messbare Teile der Belegschaft) nach dem Wochenende, oder hangelt sich von Urlaub zu Urlaub? Andersherum: An wie vielen (und welchen) Tagen kommen die Mitarbeiter mit einem Lächeln zur Arbeit, freuen sich auf Inhalte, Kollegen, angemessene Herausforderungen und ihren Chef? Auch dem falschen Mitarbeiter am falschen Platz oder beim falschen Chef wird eine 4-Tage-Woche nicht wirklich nahhaltig helfen. Dem „Freizeit- oder Arbeitszeitfaktor“ allein das ausschlaggebende Gewicht zur Work-Life-Balance zuzuschreiben wäre fatal. Auch hierzu Beispiele:

  • Selbst Schüler und Studenten mit (bis dorthin) geringerer Lebensarbeitsleistung erleiden sogenannte Burn-Outs.
  • Wenn Mitarbeiter kündigen und ihren Arbeitgeber ändern, wechseln 98% dieser Menschen nicht aufgrund der Wochenarbeitszeit.

Was sagen die Menschen in Befragungen? (Beispiele)

  • Gemäß einer repräsentativen Umfrage des Marktforschungsinstituts Toluna geben 55 % der Befragten an, dass sie im Gegenzug für eine 4-Tage-Woche auch finanzielle Einbußen in Kauf nehmen würden: Eine Vorlage künftiger Tarifverhandlungen?
  • Laut einer ebenfalls repräsentativen Umfrage durch das Meinungsforschungsinstitut YouGov aus dem Jahr 2020 mit rd. 1600 Teilnehmern befürworteten 61 % der Befragten eine 4-Tage-Woche, die Menschen verspüren zunehmend diesen Wunsch.
  • Durch eine von Citrix beauftragten OnePoll-Umfrage aus September 2019 mit 500 deutschen Arbeitnehmern gab die Mehrheit, nämlich 66 % der Teilnehmer an, dass sie gleicher Entlohnung nur vier Tage in der Woche arbeiten würden. Allerdings hielten hierbei 87 % die Einführung der 4-Tage-Woche in naheliegender Zukunft für eher unwahrscheinlich. Der Wunsch ist also deutlich, jetzt wird es eine Frage des Angebotes.

(Quellenhinweis: Wikipedia)

Warum die 4-Tage-Woche dennoch kommen wird:

Einerseits: Weil immer mehr Menschen sie wollen, der Druck entsprechend ist und Angebote entstehen. Trotz vorangehend beschriebener Tatsache, dass weniger Wochenarbeitszeit nicht wirklich ausschlaggebend für die erforderliche „Balancierung“ empfundener Arbeitsbelastung ist, gewinnt die persönliche Freizeit an Bedeutung für subjektiv bedeutsam empfundene Lebensqualität.

Anderseits ist eine geringere Wochenarbeitszeit selbst in verantwortlichen Positionen heute schlichtweg gesellschaftsfähiger als noch vor 10 Jahren.

Der Wettbewerb um gute Mitarbeiter: Einen Tag (20%) mehr Freizeit pro Woche wirkt für Arbeitnehmer äußerst attraktiv und wird damit ein wachsender Motivationshebel zur Mitarbeiterbindung. Hinzu kommt im Recruitment neuer oder zusätzlicher Mitarbeiter für die Unternehmen der Faktor der lange schon nicht mehr ausreichend vorhandener performanter Fachkräfte am Bewerbermarkt. Das definiert im Wettbewerb um die besten Mitarbeiter den Anspruch, „neue“ Modelle für die Attraktivität der Arbeitsplätze zu schaffen. Aus wirtschaftlichen Aspekten (siehe Darlegung zur Produktivität) können sich das immer mehr Unternehmen leisten und tun das auch: Zunehmend gibt es Stellenausschreibungen, die nicht nur mit Merkmalen wie flexible Arbeitszeit, Sabbatical-Möglichkeit etc., sondern eben mit der 4-Tage-Woche oder gar unbegrenzter Urlaubstage ausgestattet sind. Das definiert die nicht zu unterschätzende Wirkung am Arbeitsmarkt und im Wettbewerb um die besten Mitarbeiter.

Wann ist der richtige Zeitpunkt der Diskussion im Management?

Maß und Angemessenheit vs. Notwendigkeit und Druck ist das Gebot der Stunde für die Verantwortungsträger in den Unternehmen. Viele Unternehmer scheuen (noch) eine aktuelle Themenbehandlung getreu dem Motto, keine schlafenden Hunde oder Begehrlichkeiten wecken zu wollen.

Allerdings ist es lediglich eine Frage der Zeit, wie und wann auf Managementebene das Thema entweder proaktiv als Möglichkeit diskutiert wird, oder sich reaktiv die Notwendigkeit des Handelns ergibt. Bei den Mitarbeitern ist das Thema bereits präsent.

Alexander Bollmann
Management- & Personalberater / Gesellschafter & Geschäftsführer

Dieser Blog-Beitrag wurde am 03. März 2022 veröffentlicht.